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Du hast bestimmt schon auch gehört, dass dünne Menschen keine Muskeln aufbauen können, oder? Die sogenannten „Hardgainer“, denen es schwer fällt Muskelmasse aufzubauen und nur langsam an Gewicht zunehmen.
Du scheinst selbst in der Situation zu sein, hast jedes Programm, jede Nahrungsergänzung und jeden Ernährungsplan ausprobiert, aber du machst trotzdem keine Fortschritte im Muskelaufbau?
Auch du kannst es schaffen, Muskeln aufzubauen, wenn du dich an gewisse Regeln hältst.
Woher stammt der Mythos des "Hard Gainers"?
n den 1940er Jahren entwickelte der amerikanische Psychologe William Herbert Sheldon das heute weithin verpönte Konzept der “Somatotypen”, das Menschen anhand ihrer Form und Größe kategorisierte und mit Charaktereigenschaften wie Aggression oder Neigung zu Verbrechen in Verbindung brachte.
Obwohl diese Ideen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft weitgehend widerlegt wurden, hat sich das Konzept der festen Körpertypen in Fitnesskreisen durchgesetzt. Im Laufe der Jahre hat sich die Populärwissenschaft auf Sheldons fehlerhafte Forschung gestützt, und wahrscheinlich hast du schon Artikel gelesen, in denen behauptet wird, du könntest lernen, “wie du für deinen Körpertyp trainierst”.
Diese drei Körpertypen sind angeblich:
- Ektomorph
- Endomorph
- Mesomorph
Dies setzt jedoch voraus, dass die mehr als sieben Milliarden Einwohner der Welt in drei Kategorien eingeteilt werden können, ohne zu bedenken, dass zwei “ektomorphe” Menschen völlig unterschiedliche anatomische Strukturen haben können. Außerdem wird vorausgesetzt, dass wir unser Aussehen nicht ändern können. Vergleicht man die Bilder von Arnold Schwarzenegger als Jugendlichem mit denen seiner besten Bodybuilding-Jahre, so wird deutlich, dass erhebliche körperliche Veränderungen möglich sind.
Es ist nicht zu leugnen, dass es manchen Menschen leichter fällt, Muskeln aufzubauen. Wenn du zum Beispiel sehr langbeinig bist, kann es den Anschein haben, dass deine Muskeln kleiner sind, da sie eine größere Fläche bedecken als bei jemandem mit kürzeren Extremitäten.
Aber auch wenn du deine einzigartige anatomische Struktur nicht ändern kannst, ist es durchaus möglich, deinen Körperbau durch intelligentes Training und Ernährung zu verbessern und endlich Muskeln aufzubauen.
Die Gründe, welche den Mythos des Hardgainers widerlegen
Die meisten Hardgainer trainieren nicht hart genug und nicht lange genug
Ein Schlüsselelement, das den Fortschritt bestimmt, ist das Trainingsalter, das die individuelle Trainingsgeschichte und das Potenzial für weitere Verbesserungen widerspiegelt. Es handelt sich dabei um die Kombination aus Arbeitsaufwand und Fähigkeiten, die sich über Wochen, Monate oder Jahre des Trainings entwickelt haben.
Als Neuling erzielst du wahrscheinlich etwa 80 % der Fortschritte bei 20 % Aufwand. Je länger du trainierst, desto mehr näherst du dich deinem “genetischen Potenzial”, d. h. du müsstest dich mehr anstrengen, um auch nur geringfügige Fortschritte zu erzielen. Hardgainer schaffen es jedoch oft nicht, konsequent mit der Intensität zu trainieren, die erforderlich ist, um das Muskelwachstum über diesen anfänglichen Schub an Fortschritten hinaus zu maximieren.
Einer der wichtigsten Faktoren für das Wachstum deiner Muskeln, ist das Trainingsvolumen. Und obwohl man oft sieht, dass viele Trainierende entweder viele Sätze mit 20 und mehr Wiederholungen ausführen oder umgekehrt nur die maximale Wiederholungszahl trainieren, führen diese Ansätze zu weit weniger guten Ergebnissen als ein moderater Wiederholungsbereich mit relativ schweren Lasten.
Wenn Hypertrophie bzw. der Aufbau von Muskeln das Ziel ist, müssen wir vielmehr das Trainingsvolumen maximieren, was wir erreichen können, indem wir in einem Wiederholungsbereich von 8-12 Wiederholungen mit Gewichten arbeiten, die schwer genug sind, um eine Anpassung der Muskeln zu bewirken.
Die meisten Hardgainer trainieren nicht die Bewegungen, die ihrer Anatomie entsprechen
Mache dich schuldig, wenn du zwischen den neuesten Programmen von Prominenten oder Plänen von der Stange hin- und herspringst, die du online gekauft hast? Leider werden bei diesen Ansätzen oft Übungen (wie die klassische Kniebeuge, das Bankdrücken und das Kreuzheben) vorgeschrieben, die für dein Ziel, endlich Muskeln aufzubauen, und deine Anatomie möglicherweise nicht optimal sind.
Wenn du dir ein auf dich zugeschnittenes Programm von einem Experten erstellen lässt, wirst du mit Sicherheit viel bessere Ergebnisse erzielen.
Die meisten Hardgainer überschätzen, wie viel sie essen
Wenn du deinem Körper nicht die Nährstoffe gibst, die er braucht, um deine Muskeln zum wachsen zu bringen, werden deine Ergebnisse immer suboptimal sein. Und je näher du deinem genetischen Potenzial kommst, desto wichtiger werden diese Faktoren. Dennoch überschätzen viele Hardgainer die Menge, die sie im Vergleich zu ihrem Erhaltungsbedarf essen.
Die meisten Hardgainer unterschätzen, wie viel sie sich bewegen
Hardgainer unterschätzen oft ihren Energiebedarf im Vergleich zu ihrer Bewegung. Du hast vielleicht das Gefühl, dass du häufig isst, aber wenn du unglaublich aktiv bist, gleicht das möglicherweise nicht aus, was du verbrennst.
Der “Erhaltungsbedarf” ist ein bewegliches Ziel und variiert je nach Aktivitätsniveau, was bedeutet, dass die Verfolgung und Anpassung an aktuelle Werte wertvoller ist, als die Angabe eines festen Kalorienziels.
Qualität ist genauso wichtig wie Quantität
Ein weiteres wichtiges Element beim Wachstum der Muskeln, ist die Proteinzufuhr. Eiweiß ist zwar für die Muskelproteinsynthese unerlässlich, aber die Qualität ist ebenso wichtig wie die Quantität. Ein minderwertiges Protein aus einem Proteinriegel wird also wahrscheinlich nicht so viel für deinen Körperbau tun, wie ein hochwertiges Stück Fleisch.
Es ist zwar wichtig, genügend Eiweiß zu essen, aber zu viel davon ist auch nicht förderlich für deine Fortschritte. Eiweiß hat von allen Makronährstoffen den höchsten TEF-Wert (thermische Wirkung der Nahrung), d. h. etwa 20 % der Kalorien gehen bei der Verdauung verloren.
Zusätzliches Eiweiß verringert effektiv deine Nettokalorienzufuhr, indem es Kalorien von leistungssteigernden Kohlenhydraten und Fetten wegnimmt.
Hardgainer unterschätzen die Bedeutung einer effektiven Erholung
Ob du es glauben magst oder nicht, weniger Zeit im Fitnessstudio und mehr Schlaf wirken wahre Wunder für deine Erfolge beim Aufbau deiner Muskeln. Forschungen haben ergeben, dass Schlafmangel unsere Fähigkeit beeinträchtigt, akute und chronische Schmerzen zu ertragen, so dass du in der Praxis viel seltener so hart trainieren kannst, wie du solltest.
Neben dem Schlaf ist auch Stress aufgrund seiner psychologischen und physiologischen Auswirkungen ein bekannter Erfolgskiller. Chronischer Stress führt zu einem erhöhten Spiegel des Hormons Cortisol, eines katabolen Hormons, das die Muskelproteinsynthese hemmt.
Tatsächlich kann ein hohes Maß an empfundenem Lebensstress die Fähigkeit zur Anpassung an das Widerstandstraining verringern. Wenn du also wirklich den Aufbau eines muskulösen Körpers anstrebst, muss eine wirksame Stressbewältigung eine Priorität sein.
Lösungen für den typischen Hardgainer
Schneide dein Programm auf dein Ziel zu
Stelle ein Programm zusammen, das auf deine Stärken abgestimmt ist und es dir ermöglicht, so viel Kraft wie möglich aus den Zielmuskelgruppen herauszuholen. Wenn du Hypertrophie anstrebst, sollten diese drei Faktoren bei der Auswahl der Übungen im Vordergrund stehen:
- Die Anforderungen an deine Fähigkeiten.
Hast du genügend “Erfahrung” in einer Übung gesammelt, um mit ausreichender Intensität zu heben, um zu wachsen? Ein herkömmliches Kreuzheben könnte im Moment zu fortgeschritten sein, aber könntest du eine Trap Bar verwenden oder von Blöcken heben? Oder könntest du eine Alternative wählen, die die gleichen Muskelgruppen anspricht, aber ein geeigneteres Fähigkeitsniveau hat, wie z. B. eine schräge Hüftstreckung?
- Der Grad der Stabilität.
Kannst du dich ausschließlich auf die Bewegung konzentrieren, oder erfordert sie ein hohes Maß an Stabilisierung?
Das gebeugte Rudern zum Beispiel ist ein Klassiker im Bodybuilding, erfordert aber ein hohes Maß an Stabilisierung und Kraft, um den Schwerpunkt zu halten. Infolgedessen musst du entweder eine viel leichtere Last verwenden oder die Bewegung mit dem Rest deines Körpers ausgleichen.
In jedem Fall wird deine obere Rückenmuskulatur weniger beansprucht. Ein einfacher Wechsel zum sitzenden Rudern sorgt für Stabilität, die es dir ermöglicht, die Leistung des oberen Rückens und damit das Wachstum zu maximieren.
- Eignung für deine Anatomie und dein Ziel.
Einige Übungen sind nicht für jede Person optimal, wenn Hypertrophie das Ziel ist. Wenn du beispielsweise keine parallele Hocke machen kannst, ist es vielleicht besser, Split-Squats oder die Beinpresse bzw. die Pendulum-Squat einzubauen, die es ermöglicht, einen größeren Bewegungsumfang mit mehr Last zu bewältigen.
Trainiere mit der richtigen Intensität, konsequent
Sobald du einen soliden Plan hast, verwende das System der “Wiederholungen in Reserve”, um die Intensität zu messen. Diese Methode ist zwar nicht narrensicher, ermöglicht aber eine genauere Einschätzung der Belastung bei höheren Belastungen.
Als allgemeine Regel gilt, dass bei den ersten Sätzen 1-2 Wiederholungen vor dem tatsächlichen Versagen liegen und du bei dem letzten Satz alles geben solltest. Arbeite in einem Bereich von 8-12 Wiederholungen, steigere die Belastung im Laufe der Zeit konsequent (ohne die Technik zu beeinträchtigen), und deine Muskeln werden wachsen.
Verfolge die Nahrungsaufnahme zusammen mit dem Körpergewicht
Was gemessen wird, kannst du auch steuern. Wenn du dein tägliches Gewicht und deine Nahrungsaufnahme verfolgst, kannst du anhand von Trends feststellen, ob du Fortschritte machst.
Unter der Voraussetzung, dass du nicht im Defizit isst, kann es sinnvoll sein, deine Proteinzufuhr auf 1,8-2,2 g/kg fettfreie Körpergewicht zu begrenzen. Das mag wenig klingen, ermöglicht es dir aber, mehr Kalorien auf Kohlenhydrate und Fette zu verteilen, die dem Muskelwachstum ebenso zuträglich sind.
Sobald du einen Richtwert hast, kannst du die Kalorienzufuhr je nach Fortschritt anpassen. Achte darauf, nicht in die Falle zu tappen, dass du glaubst, du bräuchtest einen übermäßigen Überschuss, um zu wachsen. Eine Ernährung, die in etwa oder knapp über dem Erhaltungsbedarf liegt, ist mehr als ausreichend, um Hypertrophie hervorzurufen.
Ein allgemeines Ziel für den Aufbau deiner Muskeln, ist eine Zunahme des Gesamtkörpergewichts um 0,25-0,5 % pro Monat.
Priorisiere die Erholung
Deine Muskeln wachsen außerhalb des Fitnessstudios – oft ist weniger mehr. Wenn du jedes Körperteil zwei- bis dreimal pro Woche trainierst, kannst du dich optimal erholen und gleichzeitig das Trainingsvolumen maximieren.
Zwei weitere einfache Möglichkeiten zur Förderung des Muskelwachstums sind die Gewährleistung eines Schlafs von mindestens 7-9 Stunden und die aktive Erholung durch Aktivitäten mit geringer Belastung, wie z. B. Laufen.
Zusammenfassung
Lebensstil, Genetik und Trainingserfahrung sind Faktoren, die alle einen spürbaren Einfluss auf deine Fähigkeit zum Aufbau deiner Muskeln haben.
Der Mythos des Hardgainers lässt jedoch außer Acht, dass Trainingsmethodik, Energiebilanz und effektive Erholung wichtige Teile des Puzzles sind. Aber wenn du die Grundlagen konsequent und lange genug trainierst, kann selbst der “dünnste” Mensch Muskeln aufbauen.
Die wichtigsten Punkte
- Das Konzept des Hardgainers hat seinen Ursprung in altmodischen Konzepten von Körpertypen.
- Anatomische Struktur, Trainingsmethodik, Ernährung und effektive Erholung spielen eine weitaus größere Rolle für das Muskelwachstum als der Körpertyp.
- Konzentriere dich darauf, ein qualitativ hochwertiges Trainingsvolumen mit Übungen zu generieren, die zu deiner Trainingsfähigkeit und Anatomie passen.
- Prüfen kritisch, wie viel du isst und ob dies deinem täglichen Energiebedarf entspricht.
- Denke daran, dass Muskulatur auch außerhalb des Fitnessstudios wächst. Schlaf und effektive Erholung sind daher viel wichtiger als Faktoren wie der Zeitpunkt der Mahlzeiten oder Nahrungsergänzungsmittel.
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